21. September 2023
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Wie kann man klassische Literatur anschlussfähig machen?
Auf diese alte Frage gibt das Projekt „Werther digital“ neue Antworten.

Goethe als Influencer

Über Nacht wird Goethe – oder besser gesagt: sein Alter Ego Werther – zur Identifikationsfigur der europäischen Jugend: Im Jahr 1774 breitet sich von der Leipziger Buchmesse das „Werther-Fieber“ aus. Kirche, moralische Traditionalisten und Stadträte bekunden Protest und Verbotsrufe, junge Männer liegen tagelang in Tränen. Auf dem als „Werther-Effekt“ bekannt gewordenen Nachahmungseffekt reagierte der Autor u. a. direkt auf dem Mottoblatt späterer Auflagen selbst: „[F]olge mir nicht nach“ ruft dort der Geist des verstorbenen Werthers dem Leser geradezu als Vorwarnung entgegen. Eindeutig bleibt: Der Reiz der Lektüre hatte Goethes Platz als Influencer für Jahrzehnte zementiert.

Fragen verschiedenster Stoßrichtung wirft der Text auch heute noch auf: Wäre Werther zu retten gewesen – und wenn ja, wie? (Und ginge dann nicht der Kern des Romans verloren?) Wie würde Werther heute schreibend kommunizieren, da Briefe aus der Mode gekommen sind?

Das Projekt „Werter digital“

Hier lässt sich anknüpfen und didaktisches Potenzial gewinnen: Statt nur über den Text zu sprechen, ist die Form des Briefromans prädestiniert dafür, sich in den Protagonisten hineinzuversetzen und produktiv-gestaltend mit dem Text auseinandersetzen.

So können sich die Schülerinnen und Schüler im neuen Band Deutsch kompetent 11 (Bayern) (Blättern im Buch) anhand von Textauszügen und fundiertem Material zunächst eine Wissensgrundlage schaffen und neben Inhalt, Erzähltechnik und Sprache auch den Epochenkontext und die Rezeption des Romans untersuchen.

Im Anschluss aber nähern sich die Lernenden dem Text im Rahmen einer Projektarbeit. Darin setzen sie einen Handlungsausschnitt aus mehreren ausgewählten Briefen Werthers in eine zusammenhängende Geschichte aus mehreren Posts (Thread) auf einer Social-Media-Plattform um. Dabei soll keine möglichst originalgetreue Imitation entstehen, sondern eine Übertragung in die Jetztzeit stattfinden – mit neugedachten Figuren in aktuellen Umgebungen und den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Didaktische Chancen des Projekts

Dieses Projekt eröffnet unter anderem folgende Potenziale:

  • Medienreflexion (Medienkompetenz): Welche Chancen und Leistungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede weisen Originaltext und mediale Weiterentwicklung auf (sowohl textbezogen als auch in Bezug auf Produktions-, Rezeptions-, Wirkungsbedingungen)? Durch die gegebene Multimedialität – auch Bild, Ton und Video sind bekannte Mittel – erweitert sich hier der Textbegriff der Schülerinnen und Schüler.
  • kreatives Gestalten (Schreibkompetenz): Der produktionsorientierte Zugang macht Schülerinnen und Schüler, die literarischen Texten normalerweise eher lesend (d. h. passiv) begegnen, zu Produzenten. Dadurch wird das Textverständnis vertieft; die besondere Form eines Social-Media-Feeds lädt auch dazu ein, über die erzählerische Zeitgestaltung in verschiedenen Genres zu reflektieren.
  • Fremdheitserfahrung und Perspektivübernahme (Lesekompetenz) können als Impuls zur Reflexion für allgemeingültige Themen, Motive und Strukturen genutzt werden: Welches Figurenensemble verspricht heute eine ähnliche Geschichte? Was bewegt die Menschen damals wie heute – und was eher nicht?

Fortgeschrittene Kurse können sogar über die Frage diskutieren, welche Elemente eine „Poetologie des Erzählens im Raum der Sozialen Medien“ ausmachen könnten. In jedem Fall bieten die Produkte eine Vielzahl möglicher Anschlusskommunikationen.

Jetzt starten: Die Materialien zum Download

Haben Sie Lust bekommen, das Projekt einmal selbst anzuleiten? Dann bieten wir Ihnen einen Auszug aus dem Schulbuch und eine passende Kopiervorlage zum Download an.

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