14. Juli 2020
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Urlaubs- und Ferienlektüre ist natürlich ein Klassiker – auch für den Literaturunterricht. Und es passt ja auch so wunderbar: Die freie und zugleich intensivierte Zeit, das Ausgreifen in die Ferne, das Fremde, unvertraut Neue – und überhaupt eben die Motivik des Reisens. Buchempfehlungen und Lektüreberichte im Deutschunterricht vor und nach den Ferien sind aber dann doch oft wenig Lese­motivation fördernd, findet Carsten Morsch und hat mit seiner Klasse das Format des „literarischen Quartetts“ erprobt.

von Carsten Morsch

Was spricht also für ein ,literarisches Quartett‘ ? Persönliche Urteile im begründeten Meinungsstreit über gemeinsame und dann vor der Lerngruppe vorzustellende Lektüren können zum sehr lebendigen Austausch über literar(ästhet)ische Kriterien werden. Nach einer durch Corona oder einen wundervollen Sommer bedingten Distanzzeit kann in diesem Sinne ein ‚literarisches Quartett‘ aus Schülerinnen und Schülern ein Battle werden zur Steigerung der Lese-, Analyse- und Diskussionsfreude.

Lesen und bewerten, streiten und urteilen vor Publikum

Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett am 18. März 1993

„Wir werden über Bücher sprechen, und zwar, wie wir immer sprechen: liebevoll und etwas gemein, gütig und vielleicht ein bisschen bösartig, aber auf jeden Fall sehr klar und deutlich. Denn die Deutlichkeit ist die Höflichkeit der Kritik der Kritiker.“

(http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Literarische_Quartett)

Trotz des vermeintlich zielgruppenfernen Formats haben bei mir kurze (durch YouTube und Media­thek ja leicht ver­füg­bare) kontroverse Ausschnitte mit Marcel Reich-Ranicki und aus einer aktuelleren Folge mit Volker Weidermann/Maxim Biller/Thea Dorn die jungen Menschen aufgestachelt. Anders aber als im Vorbild mute ich den Schülern nicht zu, vier Romane, sondern nur zu viert einen Roman zu lesen.

Hier kann man als Lehrkraft natürlich mehr oder weniger vorentscheiden und steuern. Mir erschien es sinnvoll eine Auswahl anzubieten und vorzustellen, die ich schon gelesen und in der ich typische Aspekte der Gegenwartsliteratur sowie für Schüler relativ leicht erkennbare ästhetische Verfahrens­weisen gefunden hatte. Dabei lässt sich meines Erachtens die Kategorie Gegenwartsliteratur bei Bedarf offener denken und bis auf die Zeit nach der Nachkriegsliteratur ausdehnen. Aber auch bis in das zeitgenössische Erzählen gibt es vielfältige Anregungen.

„Was bitte sind und wozu brauche ich Erschließungsaspekte“?

Solche kleinen Literaturzirkel im Deutschunterricht können nicht nur die Lesemotivation steigern. Sie machen auch ganz praktisch erfahrbar, wozu Analysekriterien für erzählende Texte gut sind. Wer spricht da über was zu wem wie warum, also: mit welchem Effekt? Während sich Übersichten zu Erschließungsaspekten in ihrer Funktion Schülern sonst mitunter nur schwer erschließen, werden sie durch dieses kleine Projekt zu einem willkommenen Arsenal, um sich für die Diskussion zu munitio­nieren. – Ich habe diese Kritikerrunden immer im Übergang von der 11. zur 12. Klasse gemacht, mit einer Vorbereitungsstunde für die Gruppen nach der Lektüre in den Ferien. Ich denke aber, dass es für alle Klassenstufen über alle möglichen Distanzphasen hinweg oder auch parallel zum Präsenz­unterricht möglich ist.

Aspektestern zur Erschließung von Texten

Erschließungsaspekte aus deutsch.kompetent Oberstufe (ISBN 978-3-12-350505-8)

Arbeitsvorschlag: Buchvorstellung im literarischen Quartett

1. Diskutiert zu viert über ein zeitgenössisches episches Werk (15–20 min). Stellt sicher, dass

  • die Handlung und die Figuren für das Publikum verständlich werden,
  • epische Mittel (Erzähler, Sprache, Aufbau, Genre, …) besprochen und bewertet werden,
  • „Epochenkriterien“ zeitgenössischer Literatur besprochen und bewertet werden,
  • eine lebhafte Diskussion aller vier Beteiligten entsteht.

2. Wählt einen Titel aus folgender Liste oder „beantragt“ einen anderen.

3. Lest euer Buch über die Sommerferien und plant eure Diskussion im ersten Block nach den Ferien. Im zweiten Block finden die Diskussionen statt.

4. Wählt einen repräsentativen Ausschnitt (1-2 Seiten) als Einblick für eure Mitschülerinnen und Mitschüler aus und tragt diesen als Einstieg in eure Diskussion vor.

Bewertung

  • profunde Lektüre-Kenntnisse

  • Aktivität im Vorbereitungsblock

  • höfliche Aktivität in Diskussion

  • Aussagekraft und Verständlichkeit in der Diskussion (Inhaltsüberblick, epische Mittel, Epochenkriterien, persönliche Wertung)

Format für Ferien … Corona, Lese-Club oder regelmäßig im Unterricht

Die Quartette lassen sich fast ohne Einschränkung auch in geteilten oder nur vierzehntägig erscheinenden Lerngruppen durchführen (und übrigens natürlich auch auf Terzette reduzieren). Egal auf welche Si­tua­tion Sie nach den Sommerferien treffen, könnten die Quartette also einen Einstieg bilden in einen ästhetisch sensibilisierten und meinungsfreudigen Literaturunterricht. – Sie und Ihre Schüler sind bereits in den Sommerferien? Wichtig erscheint nur eine angemessen lange Zeit für die häus­liche Lektüre. Wenn das Unternehmen frühzeitig angestoßen wird, könnte man das auch nach anderen Ferien, z.B. denen im Herbst, oder sonstigen Phasen ‚des Lernens an einem anderen Ort‘ ansetzen.

Die Methode oder das Projekt sind in vielen Richtungen ausbau- und anschlussfähig. Naheliegend erscheint eine Wiederholung auf Schulfesten oder im Schulfunk. Oder das Verfahren wird zum Auslöser bzw. zur zusätzlichen Zutat eines Lese-Clubs und so auf Dauer gestellt.

Sind Sie auf der Suche nach geeignetem Lesestoff?

Auf www.klett.de finden Sie zahlreiche Lektüren und Hilfen zur Auswahl nach Thema und Klassenstufe.

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