5. Juli 2023
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Schreibende findet man oft allein vor einem Blatt Papier vor – und erst, wenn der letzte Punkt gesetzt ist, bekommen andere Augen einen abgeschlossenen Text zu Gesicht. Welche didaktischen Chancen ergeben sich, wenn man das Schreiben stattdessen als offenen, kollaborativen Prozess im digitalen Raum anbahnt?

Rotstift-Vermerke im handschriftlichen Text und neues Abschreiben nach jeder größeren Textumstellung – sind diese Arbeitsweisen wirklich effizient? Wie kooperativ kann Schreiben sein, wenn Hände rangeln müssten und das Papierformat praktische Grenzen setzt? Etherpads – kollaborative, digitalen Texteditoren – bieten darauf eine Antwort. Mit ihnen kann das analoge Schreiben nicht einfach bloß digital erfolgen, sondern um- und neugestaltet werden. Mindestens fünf wesentliche Mehrwerte des digitalen Schreibens lassen sich herausstellen:

1. Zeitgleich kollaborieren – Freiräume schaffen

So liegt ein wesentlicher Vorteil von Etherpads erstens darin, dass Lernende zeitgleich in einem Dokument arbeiten können: Vor allem die Überarbeitungs- und Umformungsphase gelingen so als synchroner, kooperativer Lernprozess, während ein Text auf Papier zwischen den Entwurfs- und Überarbeitungsschritten (die deshalb oft ausbleiben) immer erst neu geschrieben werden müsste. Die Phasen des Schreibprozesses – Planen, Schreiben und Überarbeiten – können im Texteditor parallel zueinander und wiederholt ausgeführt werden. Eine Idee aus dem ersten Entwurf passt am Ende doch ganz gut? Kein Problem: Durch die Funktion, sich den Bearbeitungsverlauf anzeigen zu lassen, kann sie eingesehen und wieder eingefügt werden.

2. Dezentrale Lernorte – ein zentraler Sammlungsort

Zweitens geben Etherpads eine Plattform für kollaborative Recherchen, Planungen oder Sammlungen – d. h. asynchrone Aufgaben, deren Ergebnisse dann nicht erst nachträglich zusammengeführt, sondern direkt zusammengedacht werden können. In der Unterrichtspraxis schafft das Raum für die Vereinigung verschiedener, umfangreicherer Schreibaufgaben in einem Dokument. Mit der Funktion, Kommentare zu einer Textpassage zu erstellen, können Ideen und Anmerkungen für Teilnehmerinnen, die gerade nicht gemeinsam im Editor sind, festgehalten und (später) verarbeitet werden.

3. Teamwork und Feedback-Kultur stärken: Schreiben als Gemeinschaftswerk

Drittens stärkt die Arbeit in Etherpads verschiedene Facetten der Sozialkompetenz. Besonders im Hinblick auf das Erwerbsleben ist das wichtig, da kaum ein Unternehmen heute und in Zukunft ohne kollaborative Dokument- oder Datenerstellung im Team auskommt. Hierauf zahlt auch die integrierte Chatfunktion der Etherpads ein, mit der die Schülerinnen und Schüler zugleich die unterschiedlichen Funktionen von Schreiben und Interagieren einüben können. Der Chat erlaubt direktes Peer-Feedback, das nicht erst im Anschluss gegeben wird (und oft ohne Auswirkung bleibt), sondern noch im Schreiben berücksichtigt werden kann. Manch gute Idee kann so aus der Randspalte des Papiers gerettet und direkt in den Text integriert werden.

4. Differenzierung digital denken

Dass in einem Dokument Lernende zeitgleich an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten können, ist – viertens – ein Potenzial zur Differenzierung, die in zunehmend heterogenen Lerngruppen besondere Relevanz besitzt: Während Schülerin A noch formuliert, kann Schüler B z.B. bereits erste Textteile mit Überarbeitungshinweisen versehen. Die Hemmschwelle, auf einem Blatt des anderes „herumzukritzeln“, ist deutlich geringer – und gegenseitige Unterstützung leichter, zumal die prinzipielle Anonymität auch eher zurückhaltenden Lernenden einen Zugang zu kooperativen Aufgabenformaten bietet.

Deutsch Blog Unterricht Etherpad Beispiel Oberfläche
Beispiel eines kollaborativen Schreibprozesses: Gestaltung eines Bewerbungsanschreibens

Was sagen die Bildungsplaner?

Die neuen Bildungsstandards der KMK für den Ersten und Mittleren Schulabschluss (ESA/MSA, 2022) legen größeren Wert auf kooperatives Arbeiten und die Nutzung digitaler Werkzeuge. Die Empirie entkräftet zudem die Befürchtung, digitales Schreiben wirke sich negativ auf die Schreibkompetenzen aus. Über die rezeptiven Formen der Medienkompetenz hinausgehend, helfen Etherpads, produktive Kompetenzen in der Zeit der Digitalität zu fördern, wie die KMK sie formuliert hat.

Ein schlankes Stück Software

Der Editor Etherpad (Lite), entwickelt auf Open-Source-Basis mit freier Lizenz, existiert auf verschiedenen Servern im Web; man kann ihn allerdings auch auf dem eigenen Schul-)Server aufsetzen. Die schlanke Anwendung funktioniert – anders als Google Docs oder Produkte von Apple und Microsoft – ohne Voranmeldung und kann auch kostenlos in Moodle-/Schulcloud-Kurse eingebettet werden kann. Wichtig: Da der Zugriff zumeist nur über den Namen des Pads gesteuert wird (der Link wird einfach geteilt), sollten keine sensiblen Daten – auch keine Echtnamen – im Dokument oder im Chat erwähnt werden.

Bleibt die Frage: Welcher Server ist zu wählen?

  • Mit yopad.eu gibt es eine solide, vom Deutschen Bundesjugendring gehostete Standardvariante.
  • Bei board.net können zusätzlich Bilder und Tabellen eingefügt und Zeichenwerkzeuge benutzt werden.
  • Auf cryptpad.fr stehen weitere Formate wie digitale Whiteboards – interessant v. a. bei Tabletnutzung – zur Verfügung. Die Lehrkraft kann sich registrieren und somit die Pads verwalten.

Für Sie zum kostenlosen Download

Nutzen Sie zur Erprobung des Tools gerne unsere Kopiervorlage zu Deutsch kompetent 8, mit denen das kollaborative Verfassen eines informierenden Textes geübt werden kann!

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