5. Mai 2022
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Groß- und Kleinschreibung wird im Deutschunterricht häufig noch immer an Wortarten geknüpft. Dabei lässt sich eigentlich nur im Satzkontext zuverlässig bestimmen, welches Wort großgeschrieben werden muss.

Die syntaxbasierte Didaktik schaut aus einer ganz anderen Perspektive auf Großschreibungen als traditionelle Ansätze. Um das zu durchschauen, sollte man sich zunächst noch einmal vergegenwärtigen, was Nomen linguistisch betrachtet u. a. für Eigenschaften besitzen:

  • sie bezeichnen eine Dinglichkeit (semantisches Kriterium),
  • sie besitzen ein festes Genus, flektieren nach Kasus und Numerus (morphologische Kriterien),
  • sie sind artikelfähig, attributfähig und können Kern einer Nominalgruppe sein (syntaktische Kriterien).

Während zu Beginn der Grundschulzeit häufig mit dem semantischen Kriterium operiert wird („Ding-Wort“), kommt mit der Zeit in der Regel auch das Kriterium Artikelfähigkeit hinzu. Das Amtliche Regelwerk definiert in § 55 „Substantive schreibt man groß.“ So einfach ist es also – allerdings nur aus der Sicht von kompetenten Schreibern, die ein Konzept davon haben, was ein Nomen ist. Schreibnovizen werden sich ausgestattet mit diesem Merksatz und der Artikelprobe an Wendungen wie „das Bellen des Hundes“, „ins Schwarze treffen“ oder „er gab sich Mühe“ die Zähne ausbeißen, weil man die Wörter nicht anfassen und/oder keinen Artikel voranstellen kann. Überhaupt ist die Idee von wortartbasierten Ansätzen, die Wörter aus dem Satzkontext zu lösen und so ein Nomen „an sich“ erkennen zu können, aus Sicht der Lernenden ausgesprochen umständlich. Diese Idee steht sicher im Zusammenhang damit, wie Nomen lexikographisch erfasst werden: Im Duden steht „Auto, das ~, Pl. ~s“. Das mag zum Nachschlagen platzsparend und ausreichend informativ sein. Auf den Unterricht übertragen, lässt dieses Vorgehen nützliche Informationen und Anhaltspunkte aus.

Zwei Ansätze für eine erfolgreiche Großschreibung

Demgegenüber operieren syntaxbasierte Ansätze mit dem Kriterium der Attributfähigkeit beim Erkennen von Nomen und orientieren sich zudem an Nominalgruppen. Die Regel dazu lautet: „Großgeschrieben wird der erweiterbare Kern einer Nominalgruppe.“ Aber natürlich muss dieser kompliziert erscheinende Merksatz nicht ins Heft geschrieben werden. Es reicht völlig, wenn die Lehrkraft diese Definition während der Arbeit im Unterricht im Hinterkopf behält. Stattdessen werden die Lernenden dazu aufgefordert, Treppengedichte zu schreiben oder Testwörter anzuwenden.

Entwickelt wurden diese Ansätze von Christa Röber und Reinold Funke:

  • Röber-Siekmeyer, Christa (1999): Ein anderer Weg zur Groß- und Kleinschreibung. Leipzig: Klett.
  • Funke, Reinold (1995): Das Heben des Wortartschatzes. Nomen im Kontext sehen. In: Praxis Deutsch, 129, S. 57–60.

Ansatz 1: Treppengedichte (geeignet für Klasse 5 und 6)

Röbers Idee der Treppengedichte ist denkbar einfach. Eine Nominalgruppe – Adjektiv und Nomen – wird in jeder Zeile um ein weiteres Attribut erweitert, also z. B.

Text über Hund zur Übung von Groß- und Kleinschreibung

Begleitend zu dieser Methode wird vermittelt, dass das, was immer ganz rechts steht, das Nomen ist und großgeschrieben wird. So können die Lernenden in ihrem eigenen Tempo ein Gespür für Nomen entwickeln.

Auch Substantivierungen erschließen sich durch die Arbeit mit Treppengedichten – entweder von ganz allein durch die Vorgabe des Sprachmaterials (siehe Kopiervorlage im Downloadbereich) oder durch eine reflektierende Besprechung im Unterricht nach der Arbeitsphase. Hierbei kann es helfen, die erlernten Konzepte aus der Grundschule bei den Schülerinnen und Schülern zu erfragen und mit dem neuen Ansatz zu kontrastieren.

Für starke Schülerinnen und Schüler ist diese Übung sicher nach kurzer Zeit nicht mehr interessant. Schwache Schülerinnen und Schüler können so aber ihr implizit vorhandenes sprachliches Wissen stärken – denn natürlich nutzen sie in fast jeder Äußerung Nominalphrasen und haben ein Gefühl dafür, dass Nomen sich im Satz anders verhalten als Verben oder Adjektive, aber sie können es nicht explizieren. Mit der Treppen-Strategie wird eine unsichtbare sprachliche Struktur sichtbar gemacht und die richtige satzinterne Großschreibung gefördert. Die Methode wird bereits in der Grundschule angewendet und eignet sich ebenso für die Arbeit in der 5. und 6. Klassenstufe.

Ansatz 2: „Testwörter“ (ab Klasse 7)

Eine etwas andere Idee steckt hinter den Testwörtern von Funke, die er für die 7. Klassenstufe vorschlägt. Dafür arbeitet er mit dem folgenden Text.

Testwörter Beispiel Text

Zunächst soll erfragt werden, was Nomen im Text sind. Selbst wenn die Lernenden die Nomen erkennen, werden sie wahrscheinlich nicht allzu gut erklären können, woher sie das gewusst haben. Daher wird die Arbeit an dem Text fortgesetzt. Vor die groß gedruckten Wörter soll im zweiten Schritt eines der Testwörter schön oder groß hinzugefügt werden. Dabei werden die Lernenden feststellen, dass sich das Testwort manchmal verändert und manchmal nicht. Verstärkt werden kann diese Erkenntnis durch eine weitere Aufgabe, bei der die Testwörter schön und groß zu den unterstrichenen Wörtern in den folgenden Beispielen eingesetzt werden sollen:

Testwörter Beispiel Aufgabe

Am Ende der Stunde steht die Erkenntnis, dass es sich um ein Nomen handelt, wenn das vorangestellte Adjektiv sich verändert. Hier wird noch mehr aus einer grammatischen Richtung auf die Großschreibung geschaut und vorhandenes implizites Sprachwissen hervorgelockt und diskutiert.

Empirisch sind viele Schülerinnen und Schüler nach ihrer Grundschulzeit nicht sattelfest in der satzinternen Großschreibung. Das semantische Kriterium verstellt mehr als es zeigt und die Artikelfähigkeit ist nicht zuverlässig genug. Durch die Änderung des Blickwinkels – weg von einer wortart- und hin zu einer syntaxbasierten Perspektive – und durch wirkungsvolle Strategien können sich auch schwache Lernende die Ressourcen ihres impliziten sprachlichen Wissens für den Unterricht zunutze machen.

Für den inhaltlichen Austausch zu diesem Thema danke ich Dr. Hrvoje Hlebec von Herzen.

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