10. Juli 2023
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In vielen Bundesländern fordern die Lehrpläne im Fach Deutsch das freie Vortragen von Gedichten – die einen lieben es, für die anderen ist es eine mühsame und unbeliebte Aufgabe. In diesem Beitrag stellen wir Ihnen deshalb eine Methode vor, mit der das Auswendiglernen von Gedichten einfacher wird und die gleichzeitig die Fantasie Ihrer Lernenden anregt: die Loci-Methode.

Die Loci-Methode kurz erklärt

Als Deutschlehrerin bzw. Deutschlehrer kennen Sie sicherlich das Problem: Nicht jedem Schüler und nicht jeder Schülerin fällt das Auswendiglernen leicht und nicht jeder mag es. Einen Ausweg bietet die Loci-Methode, die auch als Gedächtnispalast-Technik bezeichnet wird.

Die Loci-Methode ist eine Merk- bzw. Assoziationstechnik, die ihren Ursprung vermutlich bereits 500 v. Chr. im antiken Griechenland hatte. Sie wurde von damaligen Wissenschaftlern genutzt, um sich große Mengen an Informationen zu merken, da viele Erkenntnisse noch nicht schriftlich festgehalten wurden.

Die Idee hinter der Methode ist einfach: Man verbindet Informationen, die man sich merken möchte, in einer bestimmten Reihenfolge mit bekannten Orten und Gegenständen. Im Gedächtnis entsteht eine räumliche Vorstellung mit chronologischer Abfolge. Durch die Verknüpfung von Information und Ort kann man sich die Informationen besser einprägen. Die Bezeichnung „Loci-Methode“ leitet sich übrigens vom lateinischen Wort locus ab, das auf Deutsch Ort oder Platz bedeutet.

Gedächtnispalast: Gedichte auswendig lernen im Deutschunterricht

Beispiel für das Auswendiglernen mit der Loci-Technik

Bevor wir uns dem Auswendiglernen von Gedichten widmen, soll ein simples Beispiel die Loci-Technik veranschaulichen. Angenommen man möchte sich diese fünf Begriffe in dieser Reihenfolge langfristig merken: Apfel, Haus, Sonne, Schuh und Baum.

Als Ausgangspunkt kann beispielsweise die eigene Wohnung, das Klassenzimmer oder der Heimweg dienen – am besten man sucht sich einen Ort aus, der einem gut vertraut ist. Diesen Ort visualisiert man vor dem inneren Auge. In unserem Beispiel stellen wir uns unser Schlafzimmer vor. Jedes der zu merkenden Wörter verbindet man anschließend mit einem bestimmten Ort oder Gegenstand im Schlafzimmer. Dies kann folgendermaßen aussehen:

  1. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich vor, das Erste, was Sie beim Betreten des Zimmers sehen, ist ein großer, roter Apfel auf Ihrem Bett.
  2. Ihr Blick geht weiter zum Nachttisch. Dort steht ein kleines Miniatur-Haus.
  3. Plötzlich werden Sie geblendet, denn die Sonne scheint mit voller Kraft durchs Fenster.
  4. Dadurch stolpern Sie über einen Schuh, der auf dem Teppich liegt.
  5. Sie wollen das Zimmer wieder verlassen und öffnen die Tür. Dort steht auf einmal ein Baum, der bis ins Zimmer ragt.

Die Assoziationskette in unserem Gedächtnispalast ist also: roter Apfel auf dem Bett, Haus auf dem Nachttisch, Sonne durchs Fenster, Stolpern über den Schuh, Baum in der Tür. Sie werden sehen, wenn Sie diesen mentalen Spaziergang durch das Zimmer mehrmals wiederholen und an den jeweiligen Orten die entsprechenden Wörter abrufen, klappt das Auswendiglernen gleich viel leichter.

Gedichte auswendig lernen mit der Loci-Methode

Bei Gedichten, Balladen oder anderen Texten, wie beispielsweise der Ringparabel, funktioniert die Loci-Methode analog zu dem eben angeführten Beispiel – nur dass der mentale Spaziergang etwas länger ist. Zunächst sollte man das Gedicht gründlich lesen und verstehen. Dann sucht man sich einen passenden Ort aus, den man gut vorstellen kann.

Als nächstes geht man das Gedicht Vers für Vers durch und verknüpft jeden Vers mit einem bestimmten Gegenstand in diesem Ort. Dabei ist es wichtig, sich bildhafte Vorstellungen zu machen, um die Verknüpfung zu erleichtern. Wer möchte, kann für jede Strophe einen neuen Raum bzw. Abschnitt im mentalen Gedächtnispalast betreten. Den mentalen Spaziergang durch den Gedächtnispalast wiederholt man so oft, bis das Gedicht sitzt.

Nehmen wir als Beispiel die Ballade Der Handschuh von Friedrich Schiller und wenden die Loci-Methode auf die ersten beiden Strophen an. Als Ausgangsort dient wieder unsere Wohnung.

Strophe 1

Wir betreten das Wohnzimmer.

Vor seinem Löwengarten,
Das Wohnzimmer ist eine Kampfarena.

Das Kampfspiel zu erwarten,
Auf dem Tisch entdeckst du ein Schachbrett, das zu einem Kampfspiel – schwarz gegen weiß – einlädt.

Saß König Franz,
Der weiße König steht allein in der Mitte.

Und um ihn die Großen der Krone,
Springer, Turm, Läufer stehen im Kreis drumherum – die Großen der Krone.

Und rings auf hohem Balkone
Du schaust aus dem Fenster und siehst die Balkone deiner Nachbarn.

Die Damen in schönem Kranz.
Auf den Balkonen stehen junge Frauen aufgereiht wie zu einem Kranz.

Strophe 2

Und wie er winkt mit dem Finger,
Eine Winkekatze steht auf der Anrichte.

Auftut sich der weite Zwinger,
Die Tür des Katzenkorbs in der Ecke öffnet sich.

Und hinein mit bedächtigem Schritt
Die Katze zögert beim Heraustreten ins Zimmer.

Ein Löwe tritt
Doch dann tritt die Katze ins Zimmer.

Und sieht sich stumm
Die Katze schaut sich um

Rings um,
und lässt ihren Blick rings um schweifen.

Mit langem Gähnen,
Sie gähnt und …

Und schüttelt die Mähnen
schüttelt sich mit ihrem Perserfell.

Und streckt die Glieder
Sie streckt sich und …

Und legt sich nieder.
schläft wieder.

Hinweise

Wichtig ist, dass sich jede:r seinen eigenen Gedächtnispalast baut und sich die Gegenstände, mit denen die Verse (bzw. wichtige Wörter in den Versen) assoziiert werden, selbst aussucht. Nur dann funktioniert das Prinzip der Loci-Technik. Individuell ist außerdem, ob man sich die Verse wortwörtlich vorstellt (z.B. sich einen echten Löwen vorstellt, der sich wie in der Ballade verhält) oder wie in diesem Beispiel nur einzelne Wörter aus den Versen auswählt. In unserem Beispiel haben wir jeden Vers mit einem neuen Gegenstand verknüpft. Man kann aber auch mehrere, inhaltlich zusammenhängende Verse mit demselben Gegenstand verknüpfen – hier kommt es ganz darauf an, was für einen selbst besser funktioniert.

Fazit

Die Loci-Methode eignet sich besonders gut für das Auswendiglernen von Gedichten oder Balladen, da diese oft bildhafte Sprache verwenden und sich somit gut mit Orten und Gegenständen verknüpfen lassen.

Wenn also bei Ihnen im Deutschunterricht der nächste Gedichtvortrag ansteht, können Sie Ihren Lernenden die Loci-Methode anhand eines der hier vorgestellten Beispiele erklären und sie ermutigen, diese Merktechnik zuhause (oder im Unterricht) einmal auszuprobieren und auf das zu lernende Gedicht anzuwenden. Am Ende müssen jedoch die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden, welche Technik zum Auswendiglernen für sie am besten funktioniert.

Übrigens: Die Loci-Methode funktioniert selbstverständlich nicht nur für Gedichte im Deutschunterricht, sondern kann in allen Fächern Anwendung finden. Teilen Sie diesen Beitrag also gern mit Ihren Kolleginnen und Kollegen.

Teilen Sie uns in den Kommentaren gern Ihre Erfahrungen mit Gedichtvorträgen mit.
Besprechen Sie mit Ihrer Klasse im Unterricht Methoden zum Auswendiglernen?
Welche Merk- oder Lerntechniken kennen Sie noch aus Ihrer Schulzeit?

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