Das Haus-Garage-Modell ist ein gutes Beispiel für die Fortschritte in der Rechtschreibdidaktik – der Erwerb von Schriftsprache und die Schriftsprache selbst stehen dabei im Fokus.
Die Rechtschreibdidaktik hat sich in den letzten 25 Jahren enorm weiterentwickelt. Rechtschreiblernen allein durch Abschreiben und Memorieren hält heute keiner mehr für zeitgemäß. Bei der Betrachtung von Rechtschreibphänomenen wird inzwischen viel weniger vom Standpunkt desjenigen aus modelliert, der schon schreiben kann, als vielmehr aus der Sicht von Schreibnovizen auf die deutsche Schriftsprache geschaut.
Die Gesetzmäßigkeiten der deutschen Schriftsprache
Früher wurden im Rechtschreibunterricht häufig Ausnahmen ins Zentrum gestellt. Dabei liegt der Anteil an Wörtern mit Ausnahmeschreibung – man nennt das auch Peripheriebereich – nur bei etwa 5 bis 10%. Mindestens 90% des deutschen Wortschatzes wird nach klaren Gesetzmäßigkeiten geschrieben, die sich kompetente Schreibende jedoch so gut wie nie vor Augen führen.
Versuchen Sie doch einmal, die folgenden Wörter zu lesen:
mupen – balteln – woffen – frehen
Obwohl Sie die Wörter noch nie gesehen haben und sie auch keinen Sinn ergeben, können Sie sie lesen. Kein Problem, oder? Das liegt an der Silbe, die beim Lesen als kleinste Einheit erfasst wird. Wir wissen einfach, wie man deutsche Wörter vorlesen muss. Offene Silben enden auf einen Vokal (mu-, fre-), der dadurch lang bzw. gespannt gesprochen wird. Geschlossene Silben enden auf einem Konsonanten (bal-, wof-) und dadurch wird der vorherstehende Vokal kurz bzw. ungespannt gesprochen. Wenn Sie die sogenannte kontextuelle Längenmarkierung vertiefend interessiert, sei Ihnen dieses Video wärmstens empfohlen.
Vier Baumuster und ein Haus
Genau dieses silbische Prinzip macht sich das Haus-Garage-Modell von Ursula Bredel für den Unterricht zunutze. Denn die vier Baumuster, die kompetente Leser und Schreiber intuitiv sofort erfassen, müssen Schreibnovizen erst erlernen. Einigen Kindern gelingt das ohne explizite Erklärungen im Unterricht – sie erwerben die Gesetzmäßigkeiten nebenbei und ganz von allein. Die übrigen sind auf die Sichtbarmachung der Gesetzmäßigkeiten angewiesen. Würde das Haus-Garage-Modell bereits früh beim Schreiben eine Rolle spielen und immer wieder thematisiert werden, machte es sich mit den Jahren selbst überflüssig. Das implizite Rechtschreiblernen, das Mustererkennen setzt nach und nach bei immer mehr Kindern in der Klasse ein, so dass das Modell am Ende nur noch gedanklich genutzt wird, wenn eine Berichtigung zu machen ist oder eine Schreibunsicherheit auftaucht. Wie die anderen Strategien hat das Haus-Garage-Modell also nur vorübergehend eine Funktion, denn das Ziel im Rechtschreibunterricht ist ja ganz klar: Richtig schreiben können, ohne darüber nachdenken zu müssen.
Die Einarbeitung in das Modell schreckt Lehrkräfte manchmal ab, weil es auf den ersten Blick kompliziert scheint. Die wichtigsten Regeln sind auf der Übersicht „Das Haus-Garage-Modell auf einen Blick“, die sich an Lehrkräfte richtet, auf zwei Seiten zusammengefasst. Einen weiteren Anhaltspunkt bietet das gut verständlich geschriebene Buch „Wie Kinder lesen und schreiben lernen“ von Ursula Bredel, Nanna Fuhrhop und Christina Noack (2011, Tübingen: Francke). Mittlerweile wird das Modell auch in Schulbüchern für die Sekundarstufe 1 aufgegriffen, zum Beispiel in den Rechtschreibkapiteln von Deutsch kombi plus 5 und Deutsch kompetent 5.
Die Beschäftigung mit dem Haus-Garage-Modell lohnt sich also doppelt: Einerseits für die eigene gedankliche Klarheit über die kleinsten relevanten Einheiten des deutschen Schriftsystems und andererseits, weil sich damit sprachlich schwächere Kinder oder Kinder mit Deutsch als Zweitsprache und solche mit LRS sehr gut fördern lassen.
Für Sie zum kostenlosen Download
