28. November 2023
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Im gemeinsamen Aufgabenpool der Bundesländer, der vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz entwickelt wird, ist Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ ab dem Prüfungsjahr 2026 als verbindliche Abiturlektüre festgelegt.
Das Lustspiel, das vielfach inszeniert wurde und sich auf den Theaterbühnen einer ungebrochenen Beliebtheit erfreut, bekommt damit einen herausragenden Stellenwert in den Bildungsplänen.
Für unseren Autor Dr. Hans R. Spielmann ist diese Entscheidung keine Überraschung.

Vielschichtig und aktuell

Die Zahl der Inszenierungen in den letzten zwanzig Jahren spricht für sich: Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ ist aktuell. Verwunderlich ist das kaum angesichts der Themen, die unseren gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Die Frage, ob Eve als Opfer mächtiger patriarchaler Strukturen vergewaltigt wurde, das Verhalten des Dorfrichters Adam, der mittels Machtmissbrauchs und rhetorischer Tricks Lüge zur öffentlichen Wahrheit macht, eine Gemeinschaft in Gestalt des Gerichtsrats Walter, die an echter Wahrheit nicht interessiert ist; dies sind nur einige Beispiele, die hohen Aktualitätswert besitzen. Parallelen zur Identitäts- oder Gender-Debatte ergeben sich genauso wie die Thematisierung einer instabilen Gesellschaftsordnung, welche auf die Willkür staatlicher Instanzen zurückzuführen ist, oder der Bezug auf das Problem der Fake-News, die mittlerweile dank sozialer Medien ein gefährliches Ausmaß insbesondere in der politischen Auseinandersetzung angenommen haben. Diese und andere Akzentuierungen ziehen sich durch die Inszenierungen der letzten zwei Jahrzehnte. Aktuelle Anknüpfungspunkte hat diese Abiturlektüre genug, was ihr ein hohes Maß an Berechtigung verleiht. Stellt Kleist doch letztlich die Frage, die über allem in einer Welt wachsender Verunsicherung schwebt und gerade für künftige Generationen besonders relevant ist: Wie lässt sich in einer solchen Welt noch Ordnung herstellen, mit der man sich identifizieren kann, die Sicherheit für die Zukunft bietet und deren Werte offensiv vertretbar sind?

Recht, Freiheit und Erkenntnis

Alle diese Aspekte werden schon in der Vorrede zum Stück implizit angesprochen. Doch Kleists Lustspiel hat noch andere Dimensionen. Es geht um die rechtsphilosophische Problematik von Recht und Unrecht. Der historische Kampf der Niederlande mit Spanien um ihre Freiheitsrechte ist genauso involviert wie die gesellschaftspolitische Situation Preußens und seine Rolle im europäischen Kontext zu Lebzeiten Kleists. Daraus resultierten ganz persönliche Probleme für ihn. Und es geht nicht zuletzt um die Frage, wie Sprache den Prozess des Erkennens beeinflusst und damit letztlich menschliches Selbstbewusstsein durch Kommunikation kreiert und wie Literatur auf sinnstiftende Weise zu dessen Herausbildung beitragen kann. Exemplarisch lässt sich dies nachvollziehen in seiner Schrift „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Diese kann man als Lehr- und Lernstück bezeichnen für SchülerInnen in Bezug auf Gedankenführung und Argumentationsanalyse.

Eine gute Entscheidung

Kleists Lustspiel wurde im Deutschunterricht über viele Jahre als Mittelstufenlektüre gesehen. Es ist höchste Zeit, dass „Der zerbrochne Krug“ mit allen Dimensionen, die das Stück beinhaltet, als Abiturlektüre zum Zug kommt. Nichts Besseres kann den Zeiten, in denen wir leben, passieren.

Deutsch kompetent Kurslektüren

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